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Die erste Monografie über Susanne Hauser erscheint zur Einzelausstellung im museumbickel in Walenstadt, 2015. Sie enthält das umfangreiche zeichnerische Werk und präsentiert vollständig die aus 53 Blättern bestehende Serie „Planets“, die im Schaffen Susanne Hausers einen zentralen Platz einnimmt. Alle Werkreihen basieren auf der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Themen und der subtilen Wahrnehmung von Signalen und Strömungen unserer Zeit. In ihren Zeichnungen erforscht Susanne Hauser die Unerschöpflichkeit von Formen und Strukturen und berührt gleichzeitig die unbekannten und ungeahnten Möglichkeiten des Lebens.
Dialogues with Time and Infinity
Textbeitrag von Judith Annaheim
Die in diesem Buch abgebildeten Werke sind in den letzten sieben Jahren entstanden, einer Phase intensivster Arbeit an den Themen, die sich durch Susanne Hausers Leben hindurchziehen. Die ausschliesslich zeichnerischen Arbeiten prägt eine charakteristische Ausdrucksweise mit einem beeindruckenden Repertoire des Strichs. Dabei hat sich der Kreis als attraktive und bedeutungsvolle Gestaltungsfläche erwiesen. In den Planeten-Bildern erstmals verwendet, wurde der Kreis zu einem Format für die Auseinandersetzung mit verschiedenen gesellschaftlichen Themen. Susanne Hausers Werke sind innere Bilder, die intuitiv aus der Beschäftigung mit einem Thema entstehen. Demgegenüber steht hinter der Ausführung eine strenge und konzentrierte Arbeitshaltung.
Planets
Die „Planets“, die hier als komplette Serie abgebildet sind, machen nicht nur quantitativ den grössten Teil des Buches aus. Sie nehmen im Schaffen Susanne Hausers einen besonderen Platz ein, denn das Interesse an Planeten begleitet sie durch ihr Leben. Bereits als Kind war sie davon fasziniert, den Sternenhimmel zu beobachten. Zusammen mit ihrem Bruder verbrachte sie viele Abende auf der Dachterrasse des Elternhauses in Oberurnen, Glarus, wo damals nur wenige künstliche Lichtquellen den Blick in den Nachthimmel störten. Die Himmelskörper in dem unendlichen, scheinbar leblosen, dunklen Raum verwandeln sich in den Zeichnungen Susanne Hausers in äusserst vielfältige Versionen des Planeten Erde. Wie die Aussage „Planets… we are not alone“ andeutet, beinhaltet diese künstlerische Meditation über die unerschöpflichen Möglichkeiten des Universums auch die Perspektive von Leben auf anderen Planeten. Unter diesem Titel wurden die „Planets“ 2012 an der ersten Dublin Biennial ausgestellt.
Während Susanne Hauser die Neuigkeiten auf dem Gebiet der Astronomie in der Presse verfolgt, und somit konkrete Ereignisse wie die Entdeckung weiterer Planeten in ihr Werk einfliessen, nimmt die Arbeit auf dem Papier eine Eigendynamik an. Sie wird zur Erforschung der Vielfalt von Strukturen – unerschöpflich auch diese. Mit 53 Blättern ist die Anzahl dieser zeichnerischen Welten zwar begrenzt, aber je länger man diese betrachtet, desto mehr ergreift einen die Anziehungskraft unerwarteter Formen und das Gefühl, dass diese Serie tatsächlich ins Unendliche fortgeführt werden könnte. Angesichts der Zahllosigkeit der Striche sind 53 neu erschaffene Planeten bereits ein immenser Kosmos.
In diesem Kosmos bauen sich Formen aus kürzeren oder längeren Schraffuren auf, entstehen Strukturen durch die Dichte und Richtung der Striche. Alle Planeten sind mit Kugelschreiber in Schwarz, Blau, Rot oder Grün gezeichnet. Manchmal werden die Kreisflächen von Linien durchzogen. Durch die Erdkugel als naheliegende Referenz lassen sich die Formen leicht als Kontinente lesen, als Topografie, Felsstrukturen oder Wellenformen, als Landschaften am Meeresgrund oder als Spuren klimatischer Ereignisse. Rhythmen verstärken den Eindruck ständiger Wandelbarkeit. Die Zeichnungen sind in gewisser Weise dimensionslos: Die Assoziationen reichen von Landschaften bis zu Körperzellen, von Aufnahmen des Planeten aus dem All bis zu wissenschaftlichen Bildern aus dem Innern des menschlichen Körpers.
Das Gras wachsen hören
Eine andere Art von Strich findet sich in der Serie „Das Gras wachsen hören“. Diese Linien bauen nicht Flächen und Strukturen auf, sondern konzentrieren sich in Anhäufungen und greifen wild in den Raum, mit Schlaufen, Kringeln oder Zacken. Dabei bleibt ein grosser Teil des Blattes weiss, während die Linien wie Antennen ins Leere ragen. Teilweise an Haare erinnernd, stehen sie für Spürsinn und Sensibilität gegenüber Veränderungen in der Welt. Damit ist diese Werkreihe auch ein Bild für Susanne Hausers Arbeitsweise und ihre Art, auf gesellschaftliche Ereignisse eine künstlerische Antwort zu finden.
Susanne Hauser hat ihre Zeichnungen auch schon unter dem Begriff „Zeitzeichen“ gefasst. Eigentlich ein Wort aus der Funktechnik, meint Zeitzeichen hier Signale und Strömungen unserer Zeit, die von bestimmten Individuen in der Gesellschaft mehr als von anderen wahrgenommen werden. Diese Menschen werden aufgrund ihrer Sensibilität zu Empfängern. Susanne Hauser nahm bereits als Kind die gesellschaftlichen Ereignisse und Zustände sehr aufmerksam auf und verbrachte viel Zeit mit Beobachten, einerseits ihrer Umgebung, und andererseits ihrer eigenen Innenwelt.
Silk
In ihrer grossen Familie mit vielen verschiedenen Interessen wurde viel diskutiert, und die Grossmutter war nicht nur für Susanne eine Informationsquelle zu den Ereignissen in der Welt, sondern auch für die Leute aus dem Dorf, die zu ihr kamen, um sich über politische oder soziale Angelegenheiten auszutauschen. Ausser dem Vater, der bei den Schweizerischen Bundesbahnen angestellt war, arbeitete die ganze Familie in den Textilfabriken, ihre Schwester bereits mit vierzehn Jahren. Die Schwester brachte aus der Weberei Musterbücher mit nach Hause, die für ein exklusives Produkt bestimmt waren: Schirme aus Seide. Die Kreativität und Vielfalt der Ausdrucksformen und die damit verbundene Handarbeit beeindruckten Susanne Hauser sehr. So ist die Serie „Silk“ mit ihren Garnbündeln eine Erinnerung an die verschwundene Glarner Textilindustrie.
Flowers
Nicht verschwunden jedoch sind die Verdingkinder in vielen Teilen der Welt. Ihnen und anderen gesellschaftlich Benachteiligten sind die „Flowers“ gewidmet. Die Blume als starkes Symbol für Werden und Vergehen ist in diesen Arbeiten mit dem Gedanken an jene verbunden, die sich nicht entfalten können, deren Aufblühen erstickt wird, die von unzumutbaren Lasten niedergedrückt werden. Susanne Hauser wählt den Kreis, die Form der Harmonie, Ganzheit und Vollkommenheit, um über das Leiden der Menschen zu sprechen, explizit auch, indem sie zwei der Flower-Bilder spiralförmig mit Text überlagert. Vor dem Hintergrund der üppigen Blumenformen wirken die Worte über Kinderversklavung, Ignoranz und Grausamkeit umso schmerzhafter. In Erinnerung an die Arbeitsbedingungen in der frühen Glarner Textilindustrie, wo das erste Fabrikgesetz der Schweiz aufgrund des Protests der Arbeiterinnen entstanden ist, wurde „Flowers“ als Textilarbeit umgesetzt, indem die Zeichnungen aneinandergereiht auf 20 Meter Satin gedruckt wurden.
Oceans
Mit „Oceans“ verlässt Susanne Hauser das Kreisformat. Sie nutzt das gesamte Blatt für die künstlerische Auseinandersetzung, die auf der Vielfalt und den Formen der Lebewesen in den Ozeanen basiert. Bereits als Kind hat sich ihr die Grösse und Kraft der Ozeane eingeprägt: In ihrer Familie waren auch einige Auswanderer, die sich in den USA in Pittsburg niederliessen, weil sie im Glarnerland keine Existenz mehr hatten. Einer ihrer Verwandten ist bei der Schiffsreise über den Ozean untergegangen. Die Ausgewanderten waren sehr präsent, die Grossmutter hatte von ihnen Stapel von Briefen. In einigen Zeichnungen tauchen Linien auf, die an Grenzlinien auf Landkarten oder sogar an Stacheldraht erinnern. Auch die Meere sind nicht verschont von den künstlichen Grenzen und der Aggression der Menschen gegeneinander und gegen die Umwelt. Während die Künstlerin den Reichtum der Meere und deren fantastische Welten auslotet, macht sie gleichzeitig auf unseren problematischen Umgang mit den Ozeanen, unserer Lebensgrundlage, aufmerksam.
Märchen, Mythen
Formal sehr nahe an den „Oceans“ sind einige Bilder aus der Reihe „Märchen, Mythen“. Der Übergang zwischen Unterwasser-Landschaft und innerem Bild ist fliessend, die Formen bewegen sich zwischen fantastischen Mustern und organischen Strukturen. Ähnlich wie die Tiefen der Meere uns noch wenig bekannt sind, legen diese Zeichnungen nahe, dass es noch etwas anderes gibt als das Sichtbare. Sagen und Märchen als Sprache für die verborgenen Zusammenhänge waren Susanne Hauser von Kindheit an vertraut. Mündlich überliefert und aufgeladen durch die Nähe von Bergen und Wäldern waren sie Teil des Lebens und in der Gesellschaft präsent.
„Märchen, Mythen“ umfasst auch eine Reihe von Fabelwesen, die hauptsächlich der Tierwelt entstammen. Es sind Gestalten, die für das Absurde und Unerklärliche stehen, aber auch die Verbindung der Menschen mit der Tier- und Pflanzenwelt betonen. Susanne Hauser verbindet hier Formen von symbolischer Kraft mit einer ausgesprochenen Ästhetik der Gesten und Proportionen.
Indem fast alle Zeichnungen aus kurzen, dicht gesetzten Strichen aufgebaut sind, ist in der Arbeitsweise selbst eine Erfahrung des Unzähligen, Endlosen enthalten. Dieses ist gleichzeitig auch einer der zentralen Inhalte in Susanne Hausers Arbeit. Die Zeichnungen berühren die Unermesslichkeit des Universums, dessen Schönheit und Grösse, aber auch die unbekannten und ungeahnten Möglichkeiten des Lebens.
Oder in den eigenen Worten der Künstlerin:
„Wir sind so klein und schätzen gar nicht, dass uns ein so grossartiges Universum umgibt.“