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Patrick Kaufmann: Frequencies

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2021, Kerber Verlag, Bielefeld / Berlin

Projektleitung • Konzept und grafische Gestaltung in Zusammenarbeit mit Patrick Kaufmann • Textbeitrag • Bildbearbeitung 

Von unendlichen Räumen zu inneren Räumen, von Ultramarin bis Kobaltblau: Das Buch zeigt die Entwicklung der Malerei von Patrick Kaufmann (*1971) über mehrere Zyklen, die alle um das Thema Raum kreisen. Die umfassende Monografie spiegelt zudem eine Beschäftigung mit Materie und ihren Einheiten, die immer näher an die Essenz führt, in der Geist und Materie sich treffen. Dabei erweist sich Blau als die Farbe, die mehr als alle anderen die Präsenz des Malers fordert und ein tiefes Eintauchen in sich selbst bedeutet. Es ist die Farbe der Transformation, die aus dem Malprozess gleichzeitig eine Erforschung des Bewusstseins macht.

Die Reise ins HerzFeld
Über die Malerei Patrick Kaufmanns

Textbeitrag von Judith Annaheim

Mit seinem selbstgebauten Boot rudert Patrick Kaufmann auf den Walensee hinaus. Das Boot trägt ihn über das Wasser, das zwischen den steilen Hängen der Churfirsten und dem Kerenzerberg bis zu 145 Meter in die Tiefe reicht. Das bewegte Element unter ihm verkörpert, was er manchmal beim Malen erlebt, insbesondere mit Blau: Ein unbekanntes Gebiet, das unter Wagnissen und Wandlungen entdeckt werden will. In seiner Malerei ist Blau die Farbe, die mehr als alle anderen seine Präsenz fordert und ein tiefes Eintauchen in sich selbst bedeutet. Es ist die Farbe der Transformation, die aus dem Malprozess gleichzeitig eine Erforschung des Bewusstseins macht.

Seit über zwanzig Jahren unternimmt Patrick Kaufmann in Ölfarbe auf Leinwand solche Abenteuer, die ihn in innere Räume führen. Zeitweise sind rein blaue Bilder entstanden, intensives Ultramarin kennzeichnet diese Phase in den Jahren zwischen 2001 und etwa 2008. Dazu sagt Patrick Kaufmann: «Früher malte ich immer unendliche Räume. Ich war nicht geerdet, habe mich selbst nicht gespürt.» Er experimentierte mit Stille und Einsamkeit, setzte sich diesen Erfahrungen aus und suchte den Kontakt mit Geistwesen.

Vokabular der Unendlichkeit
Die Bildräume jener Zeit zeigen Elemente, die losgelöst und wie durchleuchtet im Blau schweben. Drahtartige Stränge treffen sich im Nirgendwo zu komplexen Verflechtungen. Abstrahierte Stadtlandschaften setzen sich in eine unendliche Ferne fort. Doch auch organische Strukturen, die an Körpergewebe oder an Zellen erinnern, verdichten sich aus dem blauen Urgrund.

Über die Jahre sind die Formen immer komplexer geworden, die Konstruktionen transparent ineinander verschachtelt. Durch Schleier und Schichten tastet sich der Blick in den unendlichen Raum vor, gefasst und grenzenlos zugleich.

Mit den eigenwilligen Formen fordert Patrick Kaufmann den Betrachter heraus: Als würden sie in einer fremden, vielleicht nur dem Maler bekannten Sprache etwas bedeuten. Ein eigenes Vokabular aus Kurven, Ecken, Volumen und Transparenzen. Die Grammatik dieser Sprache wird dabei streng eingehalten, die malerische Formulierung ist präzise, die Elemente des Bildes sind klar voneinander abgegrenzt und mit grosser Sorgfalt gemalt. Diese Art der präzisen Ausführung kennen wir von der gegenständlichen Malerei. Nur: Um welche Gegenstände handelt es sich hier? Um Ideen oder Urformen, um Prinzipien des Universums?

Diese Fragen lässt Patrick Kaufmann bewusst unbeantwortet. Im Malprozess widersteht er den Momenten, in denen Hinweise, Verweise oder Vergleiche zu entstehen drohen. Deutungsmöglichkeiten immer wieder aufzuheben, ist essenziell, um das Gefühl des leeren Raumes zu erhalten. Doch was ist dieser leere Raum und wozu dient er?

Im Reich der Wandlung
Darüber mag eine neue Serie, entstanden im 2020, Aufschluss geben: «In der Gegenwärtigkeit des Augenblicks» lautet der Titel, der auch dem künstlerischen Prozess selbst gilt. Er suche beim Malen den Moment des absoluten Jetzt, sagt Patrick Kaufmann. Dies bedeute auch, den inneren Raum aufzuräumen. Alles auszumisten, was sich aufgrund der eigenen Geschichte angesammelt hat und den Blick auf das Wesentliche verstellt. Die Suche nach sich selbst mündet im Malprozess in einen Zustand der Leere, der als Potenzial erlebt wird.

Patrick Kaufmann arbeitet in Zyklen. Über längere Zeit vertieft er sich in ein Thema bis dieses ausgeschöpft ist. Die aktuelle Werkphase setzte er in Bewegung, indem er 2019 zwei Happenings mit Musikern organisierte. Für das erste lud er Priska Walss ein mit Alphorn auf hoher Oktave, für das zweite Nick Gutersohn mit Posaune und Didgeridoo. Er malte zur Musik, spontan und vor dem Publikum. Mit diesem Wechsel auf eine andere Ebene, die des Gehörs, katapultierte er sich in einen Zustand der vollen Wachheit und in einen neuen künstlerischen Fluss.

Entsprechend der neu gewonnenen Präsenz ist der Kreis die Grundform vieler der jüngeren Werke. Oft verbinden sich statische Elemente mit bewegten: Wellenlinien oder Bänder legen sich über eine Kreisform; die Schwingungen scheinen über das Bildformat hinauszufliessen. Dabei gilt es, ein Gleichgewicht zu erreichen: zwischen dem plastischen Medium und der Halt bietenden Form, zwischen Energie und Substanz, zwischen Potenzial und Verdichtung. Dieses Gleichgewicht zeigt sich in der formalen Harmonie, die bei den neuen Werken auffällt. Zudem ist an die Stelle des Ultramarin eine andere Blau-Palette getreten, Kobaltblau, Türkis und Grüntöne lassen irdische Natur anklingen; sie führen nicht hinaus ins Universum, sondern in die Tiefe des Hier und Jetzt.

Wandern in Herz-Frequenz
Eine unmittelbare Präsenz strahlen die «Pulse» aus: Die Kreisform steht hier für das Atom als kleinste Einheit unserer Existenz und gleichzeitig für das Wesens-Zentrum. Diese monochromen Farbzentren sind abstrakte Porträts, die Patrick Kaufmann jeweils für eine Person malt. Gleichzeitig können sie als Selbstporträts gelten im Sinne der Energie, die sie verkörpern. Schon über 20 davon sind seit 2018 entstanden, einmal auch für eine Familie eine Gruppe von 5 Pulsen, die jetzt als einzigartige Konstellation von Farbenschwingungen nebeneinander in der Wohnung hängen.

In diesen wie auch in vielen anderen Werken ist die Spannung zwischen Schärfe und Unschärfe von Bedeutung. Darin spiegelt sich die Art, wie wir im Leben Dinge oder Menschen wahrnehmen: Das Kennenlernen verläuft in Übergängen; Schärfen und Unschärfen lösen sich ab.

Die Serie der Pulse reiht sich ein in Arbeiten, die Quarks, Partikel, Zellen oder Kern heissen; in eine Beschäftigung mit Materie und ihren Einheiten, die immer näher an die Essenz führt, in der Geist und Materie sich treffen.

So haben sich in den letzten Jahren die Reisen verändert. Das Boot kam dazu und viele Spaziergänge – Schritte zu mehr Gegenwart und Körperbewusstsein. Eine Serie aus dem Jahr 2018 trägt den Namen «HerzFeld». Das Laufen im Wald ist eine Meditation, Schritt für Schritt wie der Herzschlag. Die Bewegung in der Natur, die Achtsamkeit sich selbst und der Welt gegenüber sind die Grundlage für eine Arbeitsweise, die auf aktives Nicht-Denken, auf die Herz-Frequenz vertraut. Damit öffnet sich eine neue Bewusstseinsebene, das HerzFeld eben.