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Franziska Schiratzki

Druckpresse im Atelier von Franziska Schiratzki

Besuch im Atelier einer Zürcher Druck-Künstlerin

Es ist eines dieser unscheinbaren Gebäude, die sich zwischen den fünf- und sechststöckigen Zürcher Wohnhäusern verbergen. Die Geschichte erklärt, dass in solchen Gebäuden ehemals Ross und Wagen untergebracht wurden. Später und bis heute betreiben darin oft Schreiner, Spengler oder Sanitäre ihr Geschäft. Mit hohen Räumen, grossen Toren und etwas Vorplatz ausgestattet, sind diese Zeugen einer anderen Zeit nicht nur für Handwerker, sondern auch für Kreative äusserst attraktiv. Besonders in den Stadtkreisen drei, vier und fünf entdeckt man, einmal darauf aufmerksam geworden, viele von ihnen.

Franziska Schiratzki hat ihr Atelier in einer ehemaligen Hufschmiede. Eisenhaken, Seilwinden, Balken sowie ein Gestell für Hufeisen wurden bei der Renovation stehen gelassen und verleihen dem Raum den Charme des guten alten Handwerks. Ebenso das Holztor, das die Glastür verdeckt und das Innenleben vor Blicken schützt – zu Recht, denn dahinter tut sich eine Welt auf. Seit zwanzig Jahren arbeitet Franziska Schiratzki hier. Verschiedene Drucktechniken in Form von Abzügen auf Papier und von Objekten sind ihr Medium.

Die Kupferplatte als Skulptur

Kaum angekommen, tauchen wir mitten ins Werk der Künstlerin ein, ins Eigenleben einer Kupferplatte aus geätzten Linien und Flächen. Die Platte weist nicht nur Rillen, sondern auch Löcher auf – und sogleich wird klar, dass hier eine besonders tranformative Persönlichkeit wirkt. Eine Alchemistin, die sich in die Tiefen des Materials begibt; die Metall in beseelte Leichtigkeit verwandelt, wie ein Blick auf die im Raum schwebenden Papierobjekte zeigt. In einem Prozess von mehreren Stunden hat sich die Säure durch das Kupfer gefressen, bis die Platte an mehreren Stellen durchgeätzt war. Das Skulpturale der Kupferplatte fasziniere sie, erklärt Franziska Schiratzki. Sie sieht den Tiefdruck als Skulptur im Kleinen: Die Platte von einem halben Millimeter Dicke wird mit feinsten Vertiefungen geformt.

Kupferplatte von Franziska Schiratzki

Drei solcher Skulpturen hat das Kunstmuseum Basel 2022 zusammen mit den Drucken «Strong Water I–III» erworben. «Strong Water» war der Titel einer Ausstellung im Kunstmuseum Jurmala in Lettland 2013, für die diese Arbeiten ursprünglich geschaffen wurden; gleichzeitig ist es ein Begriff für Säure. Franziska Schiratzki hat das wörtlich genommen und, anstatt Wasser abzubilden, die Wirkung der Säure auf die Kupferplatte gezeigt. Das Ergebnis auf Papier erinnert jedoch wiederum an Wasser. Sie druckt meistens auf Japanpapier, das sie anschliessend auf Büttenpapier klebt (chine collé). Dadurch erhält das Bild neben mehrfachen Schichten von Druck eine weitere Ebene, die Eigenfarbe des Japanpapiers.

Eine Ausstellung im Singisen Forum Muri 2023 hingegen beschäftigte sich mit dem Thema Landschaftsveränderung. Ganz konkret aufgefasst, wird die Kupferplatte durch Oxydation mit Essigsäure und Salz zur Landschaft, indem sie eine mit Grünspan und Rost belebte Topografie entwickelt. Der im Ausstellungstitel erwähnte Prozess des Sedimentierens spielt sich direkt auf der Platte ab. Als Abzug gibt es dieses Landschaftsbild allerdings nur einmal, denn wenn das feuchte Papier auf die Platte gelegt wird, löst sich der Grünspan und verbleibt auf dem Blatt. So entstehen – neben der sonst reduzierten Farbigkeit aus Schwarz und Rötel (Sanguine) – Monotypien mit dem ganz besonderen Grün, das direkt dem Kupfer entspringt.

Die ungeahnten Dimensionen des Körpers

Der Kontrast zwischen der Arbeit mit Metall und der Leichtigkeit des Papiers ist in Franziska Schiratzkis Arbeitsraum auf Schritt und Tritt zu spüren. «Eigentlich wollte ich ganz leicht bleiben in meinem Leben. Ich wollte Bildhauerin werden, fürchtete aber das Gewicht und die Menge an Material». Und nun thront die grosse, schwere Presse in der Mitte des Raums. Um sie herum jedoch ereignet sich viel Poetisches, Flüchtiges. Gebilde aus bedrucktem Papier hängen von der Decke. Ihnen liegen Formen von Wirbelknochen zugrunde – ausgeschnitten, bedruckt, auf Papier genäht und zu neuer Körperlichkeit gebogen und verschlungen. Es entstehen Innenräume, Zwischenräume und Durchblicke – ein wichtiges Thema auch in den Drucken mit architektonischen Elementen. Weitere Formen des Lebens tauchen auf: Gehirne, Organe, Drüsen, Zellen und innerste Körperstrukturen. Aus den kaum tastbaren Rillen in der Druckplatte tritt auf dem Papier Körperhaftes hervor. In der Zweidimensionalität des Drucks arbeitet die Künstlerin mit Überlagerungen und Strukturen, die uns in eine unerwartete Tiefe hineinziehen.

Verbindungen sichtbar machen

Überall im Raum gibt es Fragmente des Werks, Stränge von Prozessen, die darauf warten, aufgegriffen und weitergesponnen zu werden. Alles gehört zusammen. Grosse und kleine Kupferplatten stehen in den Rillen eines Holzgestells. Papiere stapeln sich, Japan- und Büttenpapier. Und Schnittmusterbogen. Für Ungeübte kaum entzifferbar, kreuzen sich darauf Linien mit eigener Zeichensprache. Und Franziska Schiratzkis Werk zieht einen weiteren Kreis, um neue formale und inhaltliche Zusammenhänge freizulegen: Das Gewand als Thema hat sie in der Kimono-Ausstellung im Museum Rietberg 2023 in seinen Bann gezogen. Die existenzielle Verbindung von Behausung und Kleidung wird in den Grundformen der Kimonos sichtbar. Schutz sind sie beide. Auch ein Kimono wird „gebaut“ aus geraden Einzelteilen. Diese Art von Reduktion, man findet sie auch in der Architektur, etwa von Tadao Ando. Die von einer Fassadenform inspirierten Collagen, die an der Atelierwand hängen – zeigen sie ein Gewand? Oder vielleicht einen Wasserturm?

Es ist faszinierend, Franziska Schiratzki auf ihren Wegen zu folgen, sich sinnlich und gedanklich zu neuen Verbindungen verführen zu lassen und Lebensgeheimnissen auf die Spur zu kommen.

Die Geheimnisse des Druckhandwerks hingegen gibt die Künstlerin seit 1996 an der Schule für Gestaltung Zürich, der Schule für Gestaltung Basel und der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel weiter. Sie setzt sich dafür ein, dass Drucken auf professionellem Niveau weiterhin unterrichtet wird. Viele Teilnehmende kommen jahrelang in ihre Kurse für Erwachsene. Bei diesem äusserst inspirierenden Austausch in ihrem Atelier versteht man gut, warum.

Für ihr Schaffen und ihre Lehrtätigkeit im Bereich der Druckgraphik hat die Stiftung für die Graphische Kunst in der Schweiz Franziska Schiratzki 2022 den Anerkennungspreis verliehen.